High Reliability Organization (HRO) | Was verstehen wir darunter und welche Lerneffekte gibt es daraus für die Praxis?

High Reliability Organization (HRO) zeichnen sich durch eine äußerst geringe Anzahl von Störfällen und Unfällen bei der Handhabung sehr komplexer und risikoreicher Technologien (z.B. im Rahmen der Flugsicherung) aus. Was man darunter versteht und welche Lerneffekte es daraus für die Praxis gibt, erfahren Sie in diesem Blog-Artikel.

Was versteht man unter einer High Reliability Organization?

High Reliability Organizations sind Organisationen, die auch in komplexen und sehr risikoreichen Umgebungen zuverlässig agieren. Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Fehlern ist aufgrund von unterschiedlichen Rahmenbedingungen sehr hoch. Sie zeichnen sich allerdings durch eine Widerstandsfähigkeit gegen Fehler und Störungen aus. Sie besitzen die Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum fehlerfrei agieren zu können. HROs haben eine ausgeprägte Sicherheitskultur, in der Prävention, Lernen aus Fehlern und kontinuierliche Verbesserung im Vordergrund stehen. Sie investieren in robuste Prozesse, klare Kommunikation und ein starkes Bewusstsein für potenzielle Risiken. Es ist wichtig anzumerken, dass die Bezeichnung "High Reliability Organization" kein offizieller Begriff ist, sondern ein Konzept, das in verschiedenen Branchen und Organisationen angewendet wird, um eine hohe Zuverlässigkeit und Sicherheit zu erreichen.

Was ist die Theorie dahinter?

Theorie der hochzuverlässigen Organisationen behandelt das sichere Arbeiten unter komplexen und dynamischen Bedingungen (Weick & Sutcliffe, 2010). Frühe Felduntersuchungen bezogen sich z.B. auf das Flugsicherungssystem der Federal Aviation Administration (die Bundesluftfahrtbehörde der USA), auf das Kernkraftwerk Diablo Canyon in den USA sowie auf Flugzeugträger der U.S. Navy (Roberts, 1990). Hochzuverlässige Organisationen weisen trotz schwieriger Bedingungen weit weniger Unfälle und Störungen auf, als statistisch zu erwarten wären. Zwar treten auch in HRO Zwischenfälle auf, diese führen jedoch nicht zu vermeidbaren unerwünschten Ereignissen, da sie frühzeitig erkannt und rechtzeitig aufgehalten werden. Als Beispiele für HRO gelten heute u.a. Atomkraftwerke, Flugzeugträger und Feuerwehreinheiten der Waldbrandbekämpfung (Weick & Sutcliffe, 2010). Weick und Sutcliffe (2010) leiten aus der Beobachtung von hochzuverlässigen Organisationen fünf Schlüsselprinzipien ab, die als charakteristisch für HRO gelten. Die Prinzipien können zwei Gruppen zugeordnet werden: Prinzipien der Antizipation (1. Konzentration auf Fehler, 2. Abneigung gegen vereinfachende Interpretationen und 3. Sensibilität für betriebliche Abläufe) und Prinzipien der Reaktion/ Eindämmung (4. Streben nach Flexibilität und 5. Respekt vor fachlichem Wissen und Können).

Wie funktionieren High Reliability Organizations in der Praxis?

Wie wir bereits festgestellt haben, zeichnen sich HROs durch eine geringe Anzahl von Störungen und Unfällen im Arbeitsablauf aus. Sie bewältigen die schwierigen Sicherheitsanforderungen durch eine flexible Anpassung der Arbeitsorganisation an die jeweilige Betriebssituation und ihr Risikopotenzial. In Zeiten mit einem hohen Arbeitsvolumen und schwierigen Bedingungen (z. B. Schlechtwetterphasen bei der Flugsicherung) werden die Arbeitsprozesse aufgabenbezogen und dezentral gesteuert, während im Routinebetrieb HRO stark hierarchisch organisiert sind und durch formalisierte Abläufe gesteuert werden. Voraussetzung dafür ist eine Organisationskultur, die in Phasen einer notwendigen Dezentralisierung die Ordnung und sichere Regelung der Abläufe aufrechterhält und damit wesentliche Funktionen der zentralen Systemorganisation ersetzt. Außerdem zeichnen sich HRO durch die konsequente Förderung eines kontinuierlichen Lernens aus Betriebserfahrungen sowie Belohnungsmechanismen für Fehlerentdeckung und Fehlermeldung aus.

Welche Rolle spielt der Mensch in High Reliability Organizations?

Ähnlich wie auch in anderen Ansätzen zur Entwicklung der Sicherheitskultur stehen auch in HROs die Menschen mit ihren Fähigkeiten im Mittelpunkt. So sollen in HROs Menschen dazu ermutigt und befähigt werden, Beinaheereignisse zu melden, sodass aus diesen Fehlern gelernt werden kann. Durch die Meldung und Bearbeitungen sollen das System und die Prozessabläufe im positiven Sinne weiterentwickelt werden können. Ein wichtiges Prinzip bei den HROs ist die kollektive Achtsamkeit. Die kollektive Achtsamkeit soll dazu befähigen, eine koordinierte Kapazität innezuhaben, welche u.a. eine beeinflussende Wirkung auf die Wahrnehmung und das Verhalten hat, um unerwünschte Ereignisse abzufangen, abzumildern oder davon zu lernen. Zudem ist das situative Bewusstsein eine Fähigkeit, die HROs auszeichnet, indem sich die Menschen jederzeit über den Zustand ihrer Umgebung bewusst sind, was wiederum eine notwendige kognitive Fähigkeit für den erfolgreichen Umgang in einem komplexen System voraussetzt, in denen Entscheidungen schnell und unter Druck getroffen werden müssen.

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